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Ostalgie vom Bahnhofsklo

Grau war es in jener Zeit und dunkel. Es war März.
Üblicherweise fuhr der Zug nachts ins Land der drei Meere. Gegen den Schlaf kämpfend schwemmte er dann im Irgendwo eine trostlose Masse Soldaten ans Land. Die umliegenden Orte bestanden zu neunzig Prozent aus NVA. Dieser Bahnhof lag mitten drin.
Es gab nur zwei Möglichkeiten weiterzufahren. Die Hoffnung, von LKWs aus der Kaserne abgeholt zu werden, erwies sich meist als unbegründet, und da der kleine zuckelige Personenzug in Richtung Bett trotz Planwirtschaft und jeder Menge wartender Bürger erst in zwei Stunden loszog, verschwanden wir Verteidiger des Vaterlandes in der Mitropa.

Dieser Umschlagplatz verteilte Soldaten auf etliche Kasernen, und wie zu erwarten, traf ich niemanden, den ich kannte oder kennen wollte.
So aß ich meine Bockwurst mit Kartoffelsalat allein, trank ein Bierchen dazu und versuchte den König David Bericht als ein Schild gegen die stumpfe Soldatenaura um mich aufzurichten.
Die Zeit flog nicht dahin; sie spielte das Spielchen der langsam krauchenden Zeiger. Es war ja nicht so, dass man gerne zurück in die Sinnlosigkeit fuhr. Aber um sechs Uhr war Wecken, egal ob man erst um Fünf vom Urlaub zurückgekehrt war. Man hätte ja auch den vierzehn Uhr Zug nehmen können, dann wäre man auch schon um Zehn auf der Einheit gewesen.
Allerdings konnten junge Spunde im ersten Diensthalbjahr, frisch und munter aus dem Urlaub kommend, bei den Daheimgebliebenen auf wenig Gnade hoffen. Das konnte den Schlaf sehr schnell auf Null reduzieren.
Darum lieber Mitropa. Das Bahnhofsrestaurant mit der besonderen Art von Gastlichkeit schloss jedoch schon bald die Essensausgabe und langsam wurde es ungesund kühl in dem zugigen Saal. Die Erfahreneren zogen sich in den vom Vortag noch stehenden Personenzug zurück und warteten dort auf den Beginn der Reise.
Ebenfalls Erfahrung vortäuschend, ich war ja schließlich unter Soldaten, machte ich mich in Richtung Zug auf.
Nun ist es nicht verwunderlich, dass ein Bierchen nur eine kurze Zeit in unserem Körper verweilen mag und so überlegte ich mir, die Zeit zu nutzen und dem inneren Drang nachzugeben.
Das Klo war nicht zu verfehlen. Heftiges Treiben, ein Kommen und Gehen, von Soldaten und Gerüchen, begrüßte mich. Allerdings erkannte ich schlagartig das besondere Problem, mein kleines, nicht untersuchte Handicap:
Ich bin ein Alleinpullerer.
Es geht nicht in Gruppen, unter Aufsicht oder in breiter Öffentlichkeit.
Meine verständige Mutter half mir sehr mit dem Hinweis: "Da guckt Dir doch keiner was ab!"
Ich hatte es probiert. Mitten auf dem Alexanderplatz gab es ein Klo, sah aus wie der Eingang zur U-Bahn. Eine Treppe runter, dann links, an drei Seiten Rinnen. Ich stand da bestimmt zehn Minuten, mehrere Generationen Urinierender wechselten die Plätze neben mir. Bin dann doch die drei Kilometer nach Hause gelaufen, zum elterlichen WC. Und ich schwor mir, nie wieder Gruppenstrullern!
Grundsatzgetreu bog ich ab vom geraden Weg zum Bahnhofsklo und bestieg den Zug.
Da fand sich sogar ein gemütliches Plätzchen. Der Zug war natürlich noch nicht beleuchtet.
Nur Kurzfristig hielt ich es auf der Bank aus. Das Bier musste raus. Dies war doch ein Zug! Es gab hier auch Klos. Nichts wie da hin. Wurde auch gerade frei. Erfreut zwängte ich mich in das winzige Kabinchen. Die Dunkelheit und die Zielgenauigkeit außer Acht lassend, gab ich der Natur nach.

"Was machen Sie da! Bahnpolizei, rauskommen!"
Innerlich war ich bereit die Frage zu beantworten, mir fiel aber keine Antwort ein, die das Offensichtliche, nicht wiederholen würde.
"Während des Aufenthalts im Bahnhof ist die Benutzung der Toiletten verboten!
Ausweis!"
Mit den Ordnungsmächten war ich noch nie so eng in Kontakt gekommen, mit Bahnhofspolizei schon gar nicht. Sollten sie doch diesen grauen Ausweis sehen.
Müde überreichte ich das Ding, irgendwas von Überfüllung redend.
"Während des Aufenthalts im Bahnhof ist die Benutzung der Toiletten verboten!
Wir werden Sie im Auge behalten, das Ordnungsgeldschreiben wird Ihnen an Ihre Ziviladresse gesandt!"
Schwupps war ich wieder mit der Dunkelheit allein.
Es war Wendezeit und zwei Bahnpolizisten hatten nichts anderes zu tun, als arme Notdurftverrichter hops zu nehmen.
Der Staat brach zusammen, aber nur langsam.

Während des langen Fußweges, später vom Bahnhof Eggesin zur Kaserne, tröstete ich mich mit der Gewissheit, nie wieder etwas von dieser Farce zu hören.
Ein Jahr später erhielt ich eine Zahlungsaufforderung über 30 DM. Es war laut Schreiben beim Durchsehen des bahnpolizeilichen Nachlasses entdeckt worden.
Die Konterrevolution unterstützend wollte ich den Kampf mit der Siegerbürokratie aufnehmen, doch meine Freundin verhinderte das drohende Blutbad mit einem Sachlichen: "Das ist es nicht wert."
Sie wäre nie auf die Idee gekommen, das Zugklo im Dunklen zu benutzen.
Aber Frauen sind sowieso ganz anders.

Last updated 13.10.2003