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Die Flammen von Flammarion

Das Ganze war unvorstellbar. Man hatte ihm die Station beschrieben, im Briefing sogar einen kleinen Film gezeigt, aber da schwebte sie über einer grünen Wiese und sah für ihn nur lächerlich aus. Eine hoch geschwungene gläserne Käseglocke, mit einer Basis wie ein Rettungsring.
Seine Versetzung auf eine dieser Wissenschaftsstationen für Extremwelten kam wie alle anderen vorher auch, plötzlich und Hals über Kopf. Die Gewohnheit ließ ihn inzwischen mit Ruhe den Arbeitsplatz wechseln. Dass er bisher nur auf technischen Stationen tätig gewesen war, machte die Sache für ihn nicht interessanter.
Doch Flammarion war ein gigantischer Feuerball im Weltall. Die Station schwebte in wenigen Kilometern über der kochenden Oberfläche und sah nicht einmal annähernd albern aus.
Wie bei einem chemischen Experiment umhüllten blaue und gelbe Flammen das Glas der Kuppel, als hätte jemand einen Glaskolben umgedreht und leicht entzündbares Material ausgekippt.

Sipal stand während der gesamten Angleichungsphase am Sichtfenster der Fähre und staunte. Man kann sich an Feuer nicht satt sehen, dachte er. Das spiegelnde Glas der Station fügte dem Brennen ein so grell kaskadierendes Element hinzu, dass er nicht nur vor Ergriffenheit weinte.
Der Pilot trug eine Sonnenbrille.
"Sie bringt Dich zum Heulen. Wenn Du zurück in das ewige Schwarz fliegst, ist es am schlimmsten!" Mehr sagte er nicht.

Seine Aufgaben waren dieselben wie immer. Technischer Service. Sein Vorgänger war ein pedantischer Notierer gewesen. So viele Protokolle konnte man gar nicht schreiben, lesen erst recht nicht. Sipal erkannte auch so recht schnell, wie die Station lief. Sie war gesund, hier und dort einige übersprungene Wartungszyklen, aber das waren die Vorlieben und Macken der Jungs, er hatte seine eigenen und so war es für ihn und den Technischen Dienst in Ordnung. Die Rotation sorgte für die Durchmischung.

Seine Pausen verbrachte er von Anfang an im zentralen Beobachtungsdeck.
Hier schaute man in das offene Innere der Station.

Und hier waren die Flammen.

Sie entstanden genau vor ihm. Das schützende Glas war so gut wie nicht sichtbar, selbst sein Atem konnte nicht an dieser Scheibe kondensieren.
In einem endlosen Tanz schlängelten sich meterhohe Flammen wie in einem Goldfischglas immer wieder zu neuen Formationen in ewigen Variationen. Aber sie waren stabil, hatte ihm ein Wissenschaftler erklärt.

Er konnte bald einzelne Flammen unterscheiden.
Eine der größten war ein blasses Gelb mit einer blauen Mitte. Meist war direkt unter ihr eine helle indigofarbene Flamme, deren rotes Herz von einer orangefarbenen Schicht Feuer abgetrennt war. Es gab auch eine rot-weiße, scheinbar ständig explodierende Flammensäule. Eine andere war ein grün-blau flimmernder Funken, der stets kurz vor dem Erlöschen zu sein schien.
Sie alle flackerten im Innern der riesigen Glaskuppel, seine Netzhäute speicherten die Helligkeit über Stunden hinweg, doch es war kein Erblinden, wie ihm der Mediker erklärte.
Das verhindere die Beschichtung der Beobachtungskuppel. Er sehe zu intensiv, das sei alles.

Aber das war nicht alles.

Es gab noch etwas, das Sipal in das lodernde Inferno trieb.
Sie brannte in sattem Rot mit einem bernsteinfarben leuchtenden Inneren. Als er sie das erste Mal entdeckte, war sie noch von einem dunkelgelben Feuer halb verdeckt. Die Farben brachen sich zu einem Orange, das seinen Blick einfing und so schwebte sie aus einer betörenden Melange hervor und warf ihr rotes Leuchten auf ihn.
Im Auf und Ab der flackernden Lichter war es nur ein kurzer Augenblick, aber Sipal stand fassungslos vor der Scheibe und fand nur schwer zu sich selbst zurück.
Da rannte er bereits an der Rundung entlang und versuchte dem Schein ihrer Farben zu folgen. Es war ein brennendes Kaleidoskop. Er überrannte blinzelnde Wissenschaftler und holte das Licht doch nicht ein.
Atemlos presste er die Stirn an die gläserne Grenze und versuchte das wabernde Chaos zu teilen, um dieses eine Lodern wieder zu finden, bis sich seine Augen schmerzend schlossen.

Nun wurde der Tag davon abhängig, ob sie zu sehen war.
Mit quälender Hoffnung und schnellen Schritten erlief er sich den Weg zum Beobachtungsdeck, die Flammen bereits in der weißen Stationsbeleuchtung sehend. Ängstlich durchbrach er die sich öffnenden Schotte und mit hastender Ungeduld überflog er die wimmelnden Kerzenscheine um sie zu sehen.
Es war ein Rausch, der ihn fraß und nicht ruhen ließ. Jede Dunkelheit erhellte ihr Strahlen, es gab keine Nächte mehr, nur blendende Helligkeit.

Wurde seine Qual in den ersten Tagen, mit jedem Fehlen der roten Flamme, immer größer, um so glücklicher wurde er, als er sie immer öfter erblickte, ja meist fand sie ihn zuerst. Sie entflammte dann ihm gegenüber mit einer so heftigen Intensität, dass er meinte, in einer Umarmung aus Licht zu vergehen.
Nur mit deutlichen Drohungen konnte er das Interesse der Wissenschaftler abwehren , die ihn und sein Treiben sonst kaum wahrnahmen.

So waren sie sich gegenüber: Feuer und Mensch. Unerklärbar verbunden, durch geschmolzenen Quarzsand getrennt. Sie gingen spazieren im wirbelnden Feuersturm, durchflossen von lichten Farben, die ihre Oberflächen verfärbten und sie vermischten. Ein zeitleerer Raum der nur sie beide enthielt. Es war ihm egal, ob das war er fühlte, auch in dieser Flamme war, es konnte gar nicht anders sein.
Diese Wochen waren endloses Glück, eine Vollkommenheit erfasste ihn, deren Notwendigkeit er plötzlich erst begriff, deren Fehlen er nie bemerkt hatte. Er lebte. Er sah sich im Treiben des Universums übergroß, eine Nova mit unendlicher Kraft, eine Explosion, deren Grenzen er nicht erkennen konnte und deren rote Glut ein Bernsteinherz besaß.
Die Station war ein großes Loch in der Hitze des Planeten, doch er spürte das Magma in seinem Magen und atmete das Plasma tief in seine berstenden Lungen. Er arbeite unermüdlich, nur um die Zeit zu verlängern, die er mit ihr verbringen konnte.

Er wurde wach, weil er das Vibrieren anlaufender Triebwerke spürte. Er hatte keine Ahnung warum sie gestartet worden waren. Seine Anfrage an die Zentrale wurde mit einer einzigen Zeile beantwort: Positionswechsel.
Hastig zog er sich an. Neblige Besorgnis stieg in ihm auf, doch er weigerte sich nachzudenken. Er rannte durch die Gänge und prallte am Schott mit einem jungen Wissenschaftler zusammen, doch der Schmerz war unwichtig, denn hinter dem Schott war es dunkel.
"Die Flammen! Was...?" er konnte nur tonlos stammeln.
"Ja, die erlöschen immer nach einigen Monaten, wir ziehen schon um zu einer neuen Stelle!"
Der Wissenschaftler war schon lange verschwunden, als Sipal im trüben Dämmerlicht der Wandbeleuchtung an das unsichtbare Glas prallte.

Last updated 11.11.2003